Thomas Kesselring: «Die Krise hat viele Ursachen. Eine davon ist, dass wir Ethik ungenügend verinnerlicht haben. Das scheint mir ein dringendes Problem zu sein, das für die Bildung insgesamt gilt. Ich denke nicht nur an die Schule, sondern auch an die Ausbildung von Lehrkräften, an die Ausbildung von Berufsleuten überhaupt und damit auch an die Hochschulen.»
«Die Ethik beschränkt sich aber nicht auf Gerechtigkeit: Ethik hat beispielsweise sehr viel mit Einfühlung, mit Empathie zu anderen Personen und anderen lebenden Wesen überhaupt zu tun. Es gibt auch so etwas wie eine Ethik gegenüber der eigenen Person, in dem Sinn, dass man auch an sich selbst Ansprüche stellt und dass man den Ansprüchen, die man an andere stellt, auch selbst nachkommt. Das sind so einige Hotspots in der Ethik.»
«Ja, und das humanitäre Völkerrecht ist im Begriff, aufgegeben zu werden. Meines Erachtens befinden wir uns in einer gefährlichen Schieflage.»
«Das grössere Problem, das Sie ansprechen, sind die Doppelstandards des Westens. Sie sind ganz und gar offensichtlich! Die Afrikaner, Asiatinnen und Lateinamerikaner erkennen sie anscheinend viel deutlicher als wir selbst, weil wir in diesem Punkt befangen sind.»
«Donald Trump setzt jetzt noch eins obendrauf. Er sagt, schon der Unterschied zwischen wahr und falsch sei überflüssig. Der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt nennt, was jemand mit dieser Einstellung sagt, schlicht «Bullshit». Offenbar ist heute in gewissen Ländern der Bullshit mehrheitsfähig geworden. Auf dieser Basis ist inzwischen schon so viel erodiert, dass ich nicht weiss, was man jetzt auf welche Weise wieder aufbauen kann.»
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