Hier eine Zusammenfassung ihres Vortrags:
- Kontext der Veranstaltung
Die KoPI-Konferenz „Deutschlands Verantwortung für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel“ fand am 5. und 6. Dezember 2025 in Frankfurt am Main statt. Sie wurde vom Deutschen Koordinationskreis Palästina Israel (KoPI) organisiert und richtete sich auf die völker- und menschenrechtlichen Aspekte des Nahost-Konflikts und die Rolle der deutschen Politik.
Prof. Dr. jur. Ninon Colneric, emeritierte Richterin am Europäischen Gerichtshof und Vorstandsmitglied des Bündnisses für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern (BIP), hielt einen umfangreichen Vortrag zur völkerrechtlichen Bewertung der aktuellen Lage.
- Einführung und Rechtsquellen des Völkerrechts
Colneric beginnt mit einer Reflexion über die Charta der Vereinten Nationen als ranghöchste Quelle des Völkerrechts. Sie betont das grundlegende Gewaltverbot aus Art. 2 Nr. 4 UN-Charta, das die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit aller Staaten schützt. Gleichzeitig weist sie auf Art. 51 hin, der das Recht auf Selbstverteidigung nur unter sehr engen Bedingungen anerkennt.
Sie hebt hervor, dass dieser Respekt vor dem Völkerrecht „so stark abgenommen“ habe, dass junge Menschen sich fragen, ob es noch sinnvoll sei, sich damit auseinanderzusetzen. Dennoch bleibe es entscheidend, gerade im Kontext des Konflikts zwischen Deutschland und Israel.
- Strafrechtliche Aspekte und politische Verantwortlichkeit
Ein Kernpunkt des Vortrags ist die Beurteilung konkreter völkerrechtlicher und strafrechtlicher Fragen:
- Gewaltverbot und deutsche Rechtsordnung: In Deutschland ist das Gewaltverbot der UN-Charta über das Völkerstrafgesetzbuch (insbesondere der Straftatbestand des „Verbrechens der Aggression“) in nationales Recht übersetzt worden.
- Konkrete strafrechtliche Schritte: Colneric erläutert, dass gegen Bundeskanzler Friedrich Merz und andere führende Politiker Strafanzeigen gestellt worden seien – u.a. wegen Billigung eines Angriffskrieges. Sie selbst ist an einer Anzeige beteiligt, was die Verknüpfung zwischen politischer Unterstützung und strafrechtlicher Verantwortlichkeit betont.
- Israel, Deutschland und internationale Gerichtsbarkeiten
Colneric behandelt mehrere Verfahren und Initiativen vor internationalen Gerichten:
- Klage Südafrikas gegen Israel am Internationalen Gerichtshof (IGH): Südafrika klagt gegen Israel wegen Verletzung der Völkermordkonvention im Gazastreifen. Eine Entscheidung ist für 2026 erwartet.
- Klage Nicaraguas gegen Deutschland: Deutschland wird selbst vor dem IGH verklagt, u.a. wegen angeblicher Verletzungen internationaler Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem palästinensischen Gebiet, besonders durch Waffenlieferungen. Dieses Verfahren ist anhängig.
Colneric nutzt diese Beispiele, um zu zeigen, dass völkerrechtliche Verantwortung nicht abstrakt, sondern juristisch konkretisiert wird – sowohl für Staaten als Kläger als auch für betroffene Vertragsstaaten.
- Kritik an deutscher Politik und Praxis
Ein weiterer zentraler Punkt im Vortrag ist die kritische Bewertung der deutschen Aussen- und Sicherheitspolitik:
- Waffenlieferungen und Exportkontrollen: Deutschland hat nach eigenen Angaben zeitweise Waffenexporte ausgesetzt, diese Beschränkungen jedoch 2025 wieder aufgehoben. Colneric stellt dies im Lichte der Verpflichtungen aus dem Völkerrecht und insbesondere der Völkermord- und Genfer Konventionen dar.
- Rechtswidrige Besatzungspolitik: Colneric argumentiert, dass viele Praktiken Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten nach internationalen Rechtsgutachten und UN-Resolutionen als rechtswidrig eingestuft werden – insbesondere im Hinblick auf Diskriminierung, Siedlungspolitik und Verletzung des Selbstbestimmungsrechts. Sie betont, dass auch andere Staaten – wie Deutschland – verpflichtet seien, sich davon zu distanzieren und keine Handlungen zu setzen, die diese Situation festigen.
- Unzureichende deutsche Massnahmen: Trotz völkerrechtlicher Erkenntnisse und Forderungen aus internationalen Gremien habe Deutschland bislang keine umfassenden Massnahmen ergriffen, die den Anforderungen des Völkerrechts gerecht würden.
- Schlussfolgerungen und Forderungen
Colneric zieht aus ihrer Darstellung mehrere Schlussfolgerungen:
- Völkerrechtliche Verpflichtungen sind bindend – und dürfen nicht hinter politischen Allianzen oder realpolitischen Erwägungen zurückstehen.
- Deutschland muss seine Politik gegenüber Israel kritisch überprüfen, insbesondere in Bezug auf Waffenlieferungen, diplomatische Unterstützung und wirtschaftliche Kooperationen, die völkerrechtswidrige Strukturen verfestigen könnten.
- Rechtliche Verantwortlichkeit muss ernst genommen werden, sowohl politisch als auch juristisch – was Strafanzeigen, internationale Klagen und das Engagement vor internationalen Gerichtshöfen einschliesst.
- Fazit
Prof. Dr. jur. Ninon Colneric hat in ihrem Vortrag bei der KoPI-Konferenz eine fundierte völkerrechtliche Analyse der aktuellen Situation im Nahostkonflikt und der Rolle Deutschlands vorgelegt. Sie verknüpft Völkerrecht, innerstaatliche Strafrechtsnormen und aktuelle politische Entscheidungen zu einer kritischen Bewertung deutscher Politik und betont die Notwendigkeit rechtlicher Verantwortungsübernahme.
Hier der ganze Vortrag ungekürzt:
https://mailchi.mp/77261f83cadc/bip-aktuell-377-deutschland-israel-und-das-vlkerrecht
