Angemeldet als:
Logo

von Hanno Hauenstein, The Guardian 13.8. 2025

Englisches Originalhttps://www.theguardian.com/commentisfree/2025/aug/13/german-media-outlets-israel-murder-journalists-gaza

Im Vorfeld der tödlichen Anschläge dieser Woche verbreiteten sich Berichte, die palästinensische Reporter mit der Hamas in Verbindung brachten. Was folgte, schien unvermeidlich.

Wie Rolle des Journalismus besteht darin, palästinensische Reporter wie Kriminelle zu behandeln und sterben zu lassen. Letzten Oktober sprach ich mit dem Journalisten Hossam Shabat. Er beschrieb, wie Familien im Norden Gazas das Wenige, das ihnen noch geblieben war, zusammenpackten, als Israel begann, seinen „Plan der Generäle“ umzusetzen. Sechs Monate später war Shabat tot – ermordet von Israel, angeklagt, ein Hamas-Agent zu sein.

Israel versucht nicht, diese Morde zu vertuschen. Stattdessen diffamiert es seine Opfer oft schon im Vorfeld – Journalisten werden als „Terroristen“ gebrandmarkt – Anschuldigungen, die selten belegt werden. Diese Bezeichnungen dienen einem klaren Ziel: Reportern ihren Zivilstatus zu entziehen und ihre Ermordung moralisch vertretbar erscheinen zu lassen. Journalisten sind keine legitimen Ziele. Ihre Ermordung ist ein Kriegsverbrechen.

Die jüngste Runde erschütterte die Welt: Fünf Journalisten von Al Jazeera wurden in einem Pressezelt in Gaza-Stadt ermordet, darunter Anas al-Sharif, dessen Gesicht jedem vertraut war, der Gaza aus nächster Nähe verfolgte. Sowohl die UN als auch das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) hatten gewarnt, dass al-Sharifs Leben in Gefahr sei. Wochen später war er tot.

Mittlerweile setzt sich zunehmend die Einigkeit durch, dass Gaza Schauplatz eines live gestreamten Völkermords ist. Doch in Deutschland – einem Land, das stolz darauf ist, aus seiner eigenen Völkermordgeschichte gelernt zu haben – haben einige der mächtigsten Medieninstitutionen Israels Aktionen ermöglicht. Einige deutsche Journalisten rechtfertigten sogar die Ermordung ihrer palästinensischen Kollegen.

Das deutlichste Beispiel ist Axel Springer, Europas grösster Verleger und Eigentümer der Bild-Zeitung, Deutschlands grösster Zeitung. Stunden nachdem die Tötung al-Sharifs publik wurde, veröffentlichte die Bild-Zeitung sein Bild unter der Schlagzeile: „Als Journalist getarnter Terrorist in Gaza getötet“ (die später geändert wurde in „Der getötete Journalist war mutmasslich ein Terrorist“). Lassen Sie das mal sacken.

Etwa eine Woche zuvor hatte Bild einen weiteren Artikel veröffentlicht: „Dieser Gaza-Fotograf inszeniert Hamas-Propaganda.“ Der Artikel richtete sich gegen den palästinensischen Fotografen Anas Zayed Fteiha und warf ihm vor, Bilder hungernder Palästinenser als Teil einer Hamas-Kampagne zu inszenieren, obwohl es Beweise dafür gab, dass die Porträtierten tatsächlich hungerten und auf Essen warteten. In dem Artikel stand Fteihas Journalistentitel in Anführungszeichen, was darauf hindeutete, dass er kein echter Journalist war und die Hungerbilder übertriebene Erfindungen waren.

Der Bild-Artikel – sowie ein Artikel in der liberalen Süddeutschen Zeitung (SZ), in dem Experten gefragt wurden: „Wie real sind die Bilder aus Gaza?“ – wurden vom israelischen Aussenministerium umgehend auf X weiterverbreitet und als Beweis dafür angeführt, dass die Hamas die globale Meinung manipuliere. Fteiha wurde als „Israel- und Judenhasser“ gebrandmarkt, der der Hamas diene. Die Gaza Humanitarian Foundation schloss sich umgehend an, und rechtsgerichtete Influencer schlossen sich ihnen an.

In diesem Fall waren die deutschen Medien zu einem direkten Kanal für israelische Argumente geworden, die schnell auf die internationale Bühne zurückgeführt und als „Beweis“ neu verpackt wurden. Fteiha antwortete: „Ich verursache kein Leid. Ich dokumentiere es.“ Seine Arbeit als „Hamas-Propaganda“ zu bezeichnen, fuhr er fort, „ist ein Verbrechen gegen die Presse selbst.“

Nur wenige Tage vor der Veröffentlichung der Bild- und SZ-Artikel veröffentlichte der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) eine Erklärung, in der er vor „Manipulationen“ in der Pressefotografie warnte. Er äusserte insbesondere Zweifel an Bildern ausgemergelter Kinder in Gaza und behauptete, ihr Zustand sei „offenbar nicht auf die Hungersnot in Gaza zurückzuführen“. Der DJV legte für diese Behauptung keine Beweise vor – vor allem, weil es keine solche Beweise gibt.

Angesichts der heftigen Online-Reaktionen berief sich der Verband auf einen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Juli. Der Autor hatte spekuliert, ob die Bilder abgemagerter Säuglinge tatsächlich auf Hunger oder vielmehr auf Vorerkrankungen wie Mukoviszidose zurückzuführen seien. Der Artikel unterstellte den Medien, sie seien entweder fahrlässig oder manipulativ vorgegangen, indem sie diese Fotos ohne weitere Details veröffentlichten. Verschwiegen wurde dabei die Tatsache, dass Hunger und Vorerkrankungen nicht klar voneinander zu trennen sind und keine Vorerkrankung allein zu solch extremer Abmagerung führen kann.

Voreingenommenheit ist in der deutschen Medienlandschaft nichts Neues. Bei Axel Springer steht die Unterstützung der Existenz des Staates Israel an zweiter Stelle der Leitprinzipien des Unternehmens, seiner sogenannten Essentials. Im September letzten Jahres trug Bild dazu bei, die Waffenstillstandsverhandlungen zu scheitern, indem sie einen „exklusiven“ Bericht veröffentlichte – Auszüge aus einer Hamas-Strategie, die Benjamin Netanjahus Berater der Bild zugespielt hatten. Darin behauptete Bild, die Hamas strebe „kein schnelles Ende des Krieges an“, was Netanjahu elegant von jeglicher Verantwortung für das Scheitern der Gespräche freisprach. (Auf Anfragen zu dem Artikel erklärte ein Bild-Sprecher gegenüber dem Magazin +972, das Blatt kommentiere seine Quellen nicht.)

Wie sich herausstellte, war das Hamas-Dokument von der Bild-Zeitung weitgehend falsch dargestellt worden. Der Zeitpunkt hätte für Netanjahu nicht besser sein können: Die Story landete, als Massenproteste seine Position unter Druck setzten. Kurz nach der Veröffentlichung des Bild-Berichts zitierte Netanjahu ihn in einer Kabinettssitzung, um die Demonstranten als Marionetten der Hamas darzustellen. Der Bild-Artikel ist weiterhin online, unkorrigiert.

Das Problem geht jedoch weit über Bild und Axel Springer hinaus. In allen etablierten deutschen Medien gibt es weitreichende Versäumnisse bei der faktenbasierten und ausgewogenen Berichterstattung über Israel und Palästina – und dies wurde nach den Anschlägen vom 7. Oktober eklatant offensichtlich. Erfundene Behauptungen, etwa die, die Hamas habe 40 Babys enthauptet, sowie verschiedene andere vorsätzliche Falschinformationen bleiben unkorrigiert.

Medien des gesamten politischen Spektrums in Deutschland lassen den historischen Kontext routinemäßig ausser Acht, stellen palästinensische Todesfälle in passiven, unpolitisierten Begriffen dar und legen ein nahezu blindes Vertrauen in die „Verifizierung“ durch das israelische Militär an den Tag – während sie eine gut dokumentierte Liste von Fehlinformationen durch israelische Staatsquellen ignorieren.

Die Arbeit palästinensischer Journalisten wird nicht nur bei Axel Springer hinterfragt. Im Januar veröffentlichte die angeblich linke Tageszeitung einen Artikel mit der Überschrift: „Können Journalisten Terroristen sein?“ Zwar wurden darin Aussagen des palästinensischen Journalistenverbands und von Al-Quds Today (einem dem Palästinensischen Islamischen Dschihad angeschlossenen Fernsehsender) zitiert, das israelische Militär wurde jedoch viermal erwähnt, und kein einziger Journalist aus Gaza konnte sich dazu äussern.

In der gesamten deutschen Medienlandschaft tragen solche Narrative dazu bei, palästinensischen Journalisten ihre Glaubwürdigkeit zu nehmen und – im schlimmsten Fall – Israel vorgefertigte Rechtfertigungen für die gezielte Bekämpfung dieser Journalisten zu liefern.

Deutschlands „Nie wieder“-Versprechen sollte angesichts seiner tiefgreifenden Völkermordgeschichte Gewicht haben. Doch es klingt hohl, wenn die führenden Medien des Landes Propaganda verbreiten oder verbreiten, um Massenmorde in Gaza zu legitimieren. Das ist kein Journalismus im Dienste der Wahrheit – es ist Journalismus im Dienste der Gewalt. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, bedarf es einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den redaktionellen Kulturen und politischen Loyalitäten, die es ermöglicht haben, den deutschen Journalismus auf diese Weise als Waffe zu instrumentalisieren.

Die Ermordung von Journalisten in Gaza macht eines schmerzlich deutlich: Israel will nicht, dass ein Bericht darüber hinterlassen wird. Wenn die Geschichte dieses Völkermords geschrieben wird, wird es Kapitel über die Rolle der Medien geben. Deutschlands Abschnitt wird beunruhigend gross sein. Niemand sollte behaupten, er habe nichts davon gesehen.

  • Hanno Hauenstein ist ein in Berlin lebender Journalist und Autor. Er arbeitete als leitender Redakteur im Kulturressort der Berliner Zeitung mit den Schwerpunkten zeitgenössische Kunst und Politik.

https://www.theguardian.com/commentisfree/2025/aug/13/german-media-outlets-israel-murder-journalists-gaza